Gebärdensprach­dolmetscher und gebärden­sprachig­e Vermittlung

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Bildkombination: Direkte Kommunikation oder indirekte Kommunikation

Was ist der Unterschied beim Einsatz im Museum?

Gebärdensprachdolmetschende sind vielen mittlerweile ein Begriff. Doch was sind hier die Unterschiede zwischen dem Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschenden für eine Führung und einem gebärdensprachigen Wissensvermittelnden? Darauf geht dieser Artikel ein und erläutert auch die finanziellen Unterschiede – ein relativ wichtiger Punkt für klamme Museumskassen…

Was ist ein/e gebärdensprachige/r Museumsvermittler/in?

Ein/e gebärdensprachige/r Museumsvermittler/in erarbeitet genauso wie ein/e hörende/r lautsprache-nutzende/r Museumsvermittler/in (ggf. auch in anderen Sprachen wie Englisch, Spanisch, Franzözisch?) den Inhalt der Führung in eigenständiger Arbeit. Nach dem Informationsinput durch das Museum erstellt der gebärdensprachige Museumsvermittelnde auch ein eigenes Führungsprogramm: Auswahl der Themen, die er/sie in der Ausstellung als Schwerpunkt ansprechen möchte und wählt auf dieser Basis auch die ausgestellten Werke aus, über die gesprochen werden soll. Zu Hause wird viel recherchiert und Informationen zusammengetragen. Aus allen Einzelteilen wird die eigentliche Führung gestaltet.

Die Führung selbst wird dann in Deutscher Gebärdensprache durchgeführt. Eine direkte Kommunikation mit gebärdensprachigen Teilnehmenden der Führung wird ermöglicht.

Bei der Führung kann der gebärdensprachige Wissensvermittelnde auf den Zeitbedarf und Kommunikationsbedarf der Teilnehmenden eingehen und so haben Teilnehmende das Gefühl, dass ihre Bedarfe und Fragen während der Führung zufriedenstellend wahrgenommen werden kann.

Was ist ein/e Gebärdensprachdolmetscher/in?

Ein/e Gebärdensprachdolmetsche/r ist eine Person, die Äußerungen in der Deutschen Lautsprache in Deutscher Gebärdensprache übersetzt und umgekehrt. Der Gebärdensprachdolmetschende steht sozusagen als dritte Person und als Übersetzer zwischen zwei Menschengruppen: der lautsprachig kommunizierenden Gruppe und der gebärdensprachkommunizierende Gruppe. Eine Kommunikation zwischen beiden Gruppen wird ermöglicht, aber es entsteht keine direkte Kommunikation, da der Dolmetscher zwischen beiden Gruppen steht und somit eine hohe Verantwortung erhält, dass einwandfrei übersetzt wird und dabei keine Missverständnisse entstehen.

Gebärdensprachdolmetscher können in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden, wo die Kommunikation zwischen hörenden und hörbehinderten bzw. gehörlosen Menschen gewährleistet werden muss. Zum Beispiel beim Arztbesuch, in der Weiterbildung, in der Schule, im Beratungsgespräch oder auch in der ehrenamtlichen Tätigkeit der gebärdensprachigen Person.

Auch im privaten Bereich werden Gebärdensprachdolmetschende eingesetzt: zum Beispiel bei Kindergeburtstagen in einer Familie, deren Eltern auch hörbehindert ist und hörende Kinder (Freunde) mit eingeladen werden oder allgemein bei großen Familienfeiern, damit das gehörlose Familienmitglied gleichberechtigt mit allen kommunizieren und am Familienleben teilhaben kann.

Gebärdensprachdolmetschende arbeiten in der Regel simultan und ohne eine technische Simultananlage – sie dolmetschen nach Bedarf in beide Richtungen. Gebärdensprachdolmetschende unterliegen ähnlich wie Ärzte der Schweigepflicht.

Beim Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden gibt es paar Regeln, die beachtet werden müssen.

  1. Zeitlänge des Einsatzes (= der Führung) bedingt die Anzahl der Gebärdensprachdolmetschenden während einer Führung
  2. Informationsweitergabe zum Inhalt der Führung ist wichtig, denn das ist eine sehr wichtige Basis für eine gute Dolmetschung

1. Zeitlänge bedingt den Einsatz von ein oder zwei Gebärdensprachdolmetschern

Bei einem Einsatz von bis zu einer Stunde reicht der Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers aus.

Bei einem Einsatz von mehr als einer Stunde müssen zwei Gebärdensprachdolmetschende bestellt werden, damit die Qualität der Übersetzung auch nach 2 und mehr Stunden gewährleistet werden kann. Das Dolmetschen selbst ist eine sehr anstrengende Arbeit, in der der Dolmetschende hoch konzentriert bleiben muss, damit keine Übersetzungsfehler passieren.

2. Informationsmaterialien

Zur guten Dolmetschung der Führung benötigt der Gebärdensprachdolmetschende Informationsmaterialien zur Ausstellung und zu den Fachwörtern, die innerhalb der Führung verwendet werden sollen.

Was ist der Unterschied zwischen Museumsvermittler und Dolmetscher?

Der Hauptunterschied liegt in dem Unterschied zwischen Direkter Kommunikation oder Indirekter Kommunikation.

Direkte Kommunikation

Beim Einsatz von einem gebärdensprachigen Museumsvermittelnden können gebärdensprachige Teilnehmdende direkt mit dem Museumsvermittelnden kommunizieren. Diese Art der Kommunikation wird von gebärdensprachigen Teilnehmenden bevorzugt, da dies für sie am entspanntesten ist. Das ist genauso entspannt wie bei einer englischsprachigen Gruppe, die am liebsten mit einem englischsprachigen Vermittler arbeiten möchte.

Infografik: Museumsführer/in und Teilnehmende stehen vor einem Werk, beide sprechen Gebärdensprache.
Infografik zeigt die Kommunikation eine/r gebärdensprachigen Museumsführer/in mit einer Gruppe gehörloser Menschen als direkte Kommunikation auf.

Indirekte Kommunikation

Es ist etwas umständlich formuliert, gemeint ist hier die Kommunikation mittels eines Dolmetschenden. Die Infografik zeigt das noch einmal:

Infografik: Museumsführer/in mit Gebärdensprachdolmetscher vor einem Werk und vor einer Gruppe gehörloser Menschen. Die Dolmetschung übersetzt Gesprochenes in Gebärdensprache und andersherum.
Die Infografik zeigt die Kommunikation eine/r hörenden Museumsführer/in mit einer Gruppe gehörloser Menschen als Dreiecks-Kommunikation über eine/n Gebärdensprachdolmetscher/in auf.

Die gedolmetschte Sprache ist hier irrelevant, denn die Probleme haben alle gedolmetschten Sprachen die gleichen:

  • es ist anstrengend für Teilnehmende, aber auch für den Wissensvermittelnden
  • es dauert durch die Dolmetschung deutlich länger
  • die Zeit zwischen gestellter Rückfrage (ein Klassiker: „Gibt es hierzu noch Fragen?“) und einer möglichen Antwort in Form einer Frage ist zu kurz – die Teilnehmenden haben nicht immer die Möglichkeit eine Frage zu stellen, weil das Missverständnis auftreten kann, dass es keine Rückfragen gäbe.
  • ein Dialog zwischen Vermittelnden und Teilnehmenden wird durch den Einsatz von Dolmetschung nur erschwert möglich
  • für gebärdensprachnutzende Teilnehmende ist die Führung viel zu kurz und Zeit für die Bildbetrachtung ist oft nicht gegeben: Sie müssen sich entscheiden zwischen den gedolmetschten gebärdensprachigen Inhalten und einer ganz kurzen Bildbetrachtung
  • Jede Sprache hat auch eine eigene Kultur und eigene Geschichte – somit kommt diese Kultur und Geschichte bei einer anderssprachigen Führung gar nicht erst zur Sprache.

Auch für eine englischsprachige Gruppe ist eine gedolmetschte Führung relativ anstrengend. Ganz allein auch hier ist die Zeitfrage die Gleiche, denn die Übersetzung in Englisch braucht genauso viel Zeit und auch hier können die englischsprachigen Teilnehmenden ähnlich wie die gebärdensprachigen Teilnehmenden erschwert eine Rückfrage stellen, da die Zeit zwischen Frage und Antwort auch hier zu kurz kommen kann.

Einzig der Unterschied zwischen hörenden Teilnehmenden und gehörlosen Teilnehmenden ist: hörende Teilnehmende können zugleich mit dem Ohr das neue Wissen aufnehmen und mit den Augen das Werk betrachten, um das es gerade geht. Gehörlose Teilnehmende müssen mit dem Auge das neue Wissen aufnehmen und die Bildbetrachtung (was auch mit dem Auge passiert) kommt dabei viel zu kurz, wenn der Wissensvermittelnde nicht zusätzlich Zeit hierfür einrichtet. Gehörlose Teilnehmende müssen sich deshalb entscheiden zwischen Wissensinhalt oder Bildbetrachtung.

Ein weiterer Unterschied

Die gebärdensprachige Wissensvermittelnde erarbeitet die Themen der Ausstellung selbst. Die Gebärdensprachdolmetschende bereitet sich im Vorfeld der Führung nur hinsichtlich der zu verwendeten gebärdensprachigen Wörter vor – manche Wörter werden seltener verwendet und müssen deshalb vorher möglicherweise noch einmal „erlernt“ werden. Auch diese Vorbereitung erledigt die gebärdensprachige Wissensvermittelnde während der inhaltlichen Vorbereitung zur Führung.

Die Kostenfrage – was ist der Unterschied zwischen beiden Berufsgruppen?

Der Einsatz eines gebärdensprachigen Wissensvermittelnden ist viel günstiger als der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern bei einer Führung.

Bei einem Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern muss die Einsatzzeit, die Fahrzeit und die Kilometerpauschale bezahlt werden. Bei einem Einsatz von zwei Gebärdensprachdolmetschenden kann das ganz schnell teuer werden. Zusätzlich zu den Gebärdensprachdolmetschern muss auch der (hörende) Wissensvermittelnde bezahlt werden. Oft wird nur eine Stunde Führung angeboten, weil man dann nur einen Gebärdensprachdolmetschenden benötigt.

Dabei kommt jedoch vieles viel zu kurz im Vergleich zu einer Führung direkter Kommunikation: Durch die zusätzliche Zeit für die Bildbetrachtung und durch die zusätzliche Wartezeit beim Dialog kann bei einer Führung für gebärdensprachige Teilnehmende viel weniger vermittelt werden als bei einer genauso langen Führung in einer Lautsprache.

Kostenbeispiel

Was ist besser:

  • um den Schnitt von ca. 100,- Euro* für 1,5 Stunden gebärdensprachiger Wissensvermittelnde
  • oder ca. 70,- Euro* für 1 Stunde lautsprachigem Wissensvermittelnden zuzüglich der ca. 220,- Euro** (Gesamtkosten inkl. Fahrzeit und Wartezeit) für einen Gebärdensprachdolmetschenden für eine Führung, die im Vergleich zur lautsprachigen Führung zu kurz kommt? (Gesamtkosten: 290,- Euro)

*Die Preise für das Honorar bestimmt das jeweilige Museum selbst, hier ist nur eine Beispielrechnung mit geschätztem Honorar.

** Die Gesamtkosten des Gebärdensprachdolmetschenden ist nur grob geschätzt – hierbei spielt die tatsächliche Entfernung des bestellten Dolmetschenden zum Museum (= Fahrzeit und Wegezeit) eine große Rolle und die tatsächlich angefallene Einsatzzeit. Diese Berechnung beinhaltet die derzeitige JVEG-Honorarhöhe, die jedoch inflationsbedingt viel niedriger ausfällt, so dass es sein kann, dass es inzwischen Gebärdensprachdolmetschende gibt, die ein höheres Honorar verlangen müssen, um weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können.

Schon alleine der Kostenbeispiel zeigt: Der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschende in einer Führung ist zu teuer, wenn es die Möglichkeit gibt, einen gebärdensprachigen Wissensvermittelnden einzusetzen. Außerdem gibt es viel zu wenige Gebärdensprachdolmetschende, die in vielen anderen Bereichen genauso dringend benötigt werden. Hierbei stellt sich dann die folgende Frage:

Wann genau macht der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern im Museum wirklich Sinn?

Ganz einfach: Wenn eine größere Veranstaltung stattfinden soll, bei dem vor einer größeren frei zugänglichen Teilnehmeranzahl der gesprochene Inhalt in Gebärdensprache übersetzt werden soll, damit mehrere gebärdensprachnutzende Teilnehmende ebenfalls gleichberechtigt den Zugang zum Inhalt wie der hörende Teilnehmende erhalten können. Das kann ein Vortrag in einem Museum im Rahmen eines größeren Programms sein oder ein Workshop, der sich gleichermaßen an hörende als auch an gebärdensprachige Teilnehmende richtet.

Wenn die Mitarbeitenden der Vermittlung in die neue Ausstellung eingeführt werden – auch hier kann man nicht verlangen, dass der/die Ausstellungskurator/in den Inhalt auch in Gebärdensprache oder in einer Fremdsprache wie Englisch vermitteln soll – auch hier macht der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden bei einem Einsatz eines gebärdensprachigen Wissensvermittelnden sehr großen Sinn – denn auch hier müssen alle Museumsvermittelnde gleichwertigen Zugang zu den Informationen erhalten. Denn jede Person lernt anders, manche lernen mehr durchs Zuhören und Veranschaulichung, andere mehr durchs Lesen. Daher soll man allen Wissensvermittelnden, also auch die gebärdensprachigen, den Zugang zu allen Lern-Kanälen ermöglichen.

Fazit

Aus vielen Gründen ist die Führung mit einem gebärdensprachigen Wissensvermittelnden in vielfacher Hinsicht vorzuziehen:

  • Direkte Kommunikation ist gegeben – gebärdensprachige Teilnehmende können schnell ihre Frage loswerden und eine Antwort erhalten.
  • Ein Dialog mit den gebärdensprachigen Teilnehmenden und gebärdensprachigen Wissensvermittelnden ist möglich.
  • Jede Sprache hat auch eine eigene Kultur und eigene Geschichte – in einer gebärdensprachigen Führung wird auch Bezüge zur gebärdensprachigen Kultur und Geschichte hergestellt und somit das Wissen nochmal viel besser für die Gruppe gebärdensprachiger Teilnehmenden zugänglicher gemacht
  • mehr Zeit für die Bildbetrachtung wird berücksichtigt – dadurch dauern die Führungen in der Regel eine halbe Stunde länger als eine lautsprachige Führung, denn gebärdensprachige Teilnehmende müssen beides mit den Augen wahrnehmen. Hörende können zugleich die Werke sehen und das Wissen hören. Gehörlose können das nicht in dem gleichen Maße.

Interessiert für einen Austausch mit einem gebärdensprachigen Wissensvermittelnden? Für die Region Nordhessen und Kassel biete ich sehr gerne meine Dienste und ein kostenfreies Kennenlern-Gespräch an.

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Karin Müller Schmied

Für mich steht die kommunikative Barrierefreiheit an erster Stelle. Als Kindergartenassistentin begleite ich Dein gehörloses Kind im Kindergarten in Deutscher Gebärdensprache. In Museen führe ich Dich und Deine Familie durch die Ausstellungen in Deutscher Gebärdensprache und mache selbst Kunst.

In der Freizeit male und gärtnere ich gerne.

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